Institut für Betrachtung

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Hans-Jürgen Hafner

Analyse, gemeinfrei (zu Wolfgang Höbel, Gescheitert am bornierten Berlin. Spiegel Online, 13.04.2018)

Zum Berliner Theaterdesaster, der Causa Dercon, wäre eigentlich genug gesagt und ist schon viel zu viel Ähnliches geschrieben. Alleine, es betrifft nicht nur das Theater, es betrifft auch die Kunst – und, wie beim Theater, deren aktuelle Praxis wie die Institution. Viel ist gesagt, noch mehr geschrieben worden. Damit verträgt sich umso schlechter, dass die späte Analyse von Wolfgang Höbel auf Spiegel Online keine ist. Oder wie vertragen sich analytischer Anspruch und Pauschalisierung, die, beginnend mit dem Titel, tout Berlin als "borniert" wertet, "theaterbegeisterte Menschen" vor allem "jünger" und ausgerechnet ein Hoffnungsbündnis "aus Deutschland, Österreich und der Schweiz" sein lässt, die Lilienthal und Dercon am "Unmut vieler eher konservativer Menschen" gescheitert sehen will und "unsere Theater" als "im Großen und Ganzen Abspielstätten mehr oder weniger literarischer Texte" wähnt?

Was im Sinne polemischer Zuspitzung, wiewohl kein allzu aussichtsreiches Register für eine Analyse, durch Pauschalisierung vielleicht an Kontur gewönne, verrät eher schlecht progressivistisch kaschiertes Ressentiment. Sicher ist die Rolle der Berliner Kulturpolitik in der Causa Dercon zu kritisieren, und das gern auf Basis solider Recherche und daraus abgeleiteter Analyse. Wie sich Analyse, Pauschalisierung und Ressentiment allerdings mit der - nicht zu Unrecht geäußerten - Kritik an Tanzspaß, fadem Eröffnungsmix und lückenhaftem Spielplan vertragen? Ob Letzteres zur "Öffnung und Erneuerung der heimischen Theaterwelt" qualifiziert - um zumindest einer der vom Autor in dieses Text-Fanal gestreuten Agenden zu folgen? Über die Verwendung des national Possessiven “unser”, der Heimat-Trope wäre in der Tat ebenso gesondert zu diskutieren wie über die Insinuation, jüngere Theaterenthusiast_innen hätten sich ausgerechnet Dercon als den Retter des deutschsprachigen Theaters ausgesucht – speziell in seiner Funktion als Haus- und Finanzherr einer Bühne, welche die - so suggeriert der Autor - offenbar allzu konservativ textlastig/literarischen "Abspiele" eines Schlingensief, Pollesch, Fritsch etc. so lange und vor allem trotz zahlreichen und zum Teil bemerkenswert "jungen" Publikums hat aushalten, was sage ich, aussitzen müssen. Wer Pauschalisierung für ein probates Mittel der Analyse hält, der kann natürlich keine Angst vor Prophezeiungen haben - der Schlusssatz dieser, nun, Analyse sei insofern mit viel Verständnis dafür, dass Höbel unter den gegebenen Umständen auch mal an der Geschichte zumindest mitschreiben möchte, unter den Teppich gekehrt.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/chris-dercon-verlaesst-volksbuehne-scheinsieg-der-theater-verwahrer-a-1202799.html

Volksbühne, Wolfgang Höbel

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