Institut für Betrachtung

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Philipp Höning

Have You Seen Metropolis? (Chris Burden und Jason Rhoades in L.A., 2017)

Ein aufgeregter Wachmann chinesischer Herkunft kommt im Museum auf mich zu und fragt mich: Have you seen Metropolis?

Chris Burden, Metropolis II

Eine Stadt, deren urbane Struktur auf verschiedenen Ebenen stattfindet, Straßen überall.

Der erste Witz liegt in der unpräzisen aber bis zum Exzess kindlich ernsthaften Nachahmung der Filmstadt Metropolis.
Der nächste entsteht dadurch, dass die Stadt an sich still steht, die Häuser ruhen in sich wie eine eigene Landschaft im Raum. Der Verkehr,
in seiner Zielstrebigkeit entzückend, ultraaufgeregt bewegt sich in wilder Raserei um die Türme herum. In der Mitte kommen die Autos vor einem Band zum Stehen, das sie im laufenden Betrieb hochtransportiert, ohne dass der restliche Verkehr beeinträchtigt wird. Die Autos schieben und drängeln nach oben, in einem hochverdichteten Stau, zitternd vor Energie, um dann wieder auf die Auffahrten losgelassen zu werden.
Kinder in größeren Gruppen umspülen wie wild geworden das Spektakel und werden selbst zum Aufregungselement.
Das Treiben in der Stadt ist industriell organisiert, die Sinnhaftigkeit ist einem geschäftigen Treiben untergeordnet, es ist die Gemeinsamkeit zwischen protestantischer Arbeiterkultur und Kunst – Treiben an sich wird zum Sinn der Sache.
Durch dieses sich selbst genügen 
im ungesteckten Ziel, so schnell 
wie möglich, so viel wie möglich zu tun, ist die Arbeit in ihrem Erlebnischarakter trotzdem autonom und verkommt nicht zum Spielzeug, ist keinem Zweck unterworfen, sondern der Zweck selbst.
 
 

Jason Rhoades, Installations 1994 - 2006

Wir sind im Laufschritt durch L.A. gehetzt um Jason Rhoades’ posthume Einzelausstellung bei Hauser und Wirth zu sehen. 6 große Installationen durften bewundert werden.

Rhoades hinterlässt mich aggressiv zwiegespalten. Man möchte ihm die Wahnhaftigkeit seines Handelns nicht abkaufen. Man sieht zwar einen von Gegenständen besessenen Menschen in ihm, doch die Annäherung auf dieser Ebene scheitert. Die vielen tausend Objekte wirken seltsam nebeneinander gesetzt, als ob innerhalb einer Installation eine Sammlung in oder neben eine andere gesetzt wurde. Es erschlägt mit einer Kälte gegen den Betrachter, als würde Rhoades die Obsession eines Anderen inszenieren. Der Betrachter wird wie bei Peter Halley ein Stück weit in die Welt des Künstlers hineingezogen, die immer die ungeklärte Frage der Authentizität aufwirft, im Moment der Begegnung wird man herauszentrifugiert und bleibt ratlos unverbunden am Rand stehen. Jedoch wird man bei Rhoades nicht an die Leine genommen, um die Aporie zwischen Zumutung und ausgesperrt sein durchzumachen. Man bleibt hier nur zu Besuch.

Rhoades erzählt damit etwas über das Misslingen als Grundlage jeder zwischenmenschlichen Interaktion. Den anderen zu kennen ist unmöglich. Jetzt tut mir jemand mal den Gefallen und zeigt mir alles, was in seiner Welt vorkommt, eine totale Bestandsaufnahme seines Begehrens und seines Besitzes, befreit es sogar von der erotischen Komponente der Verhüllung. Was bleibt, ist Materialstandsanalyse einer Dingwelt, die auch immer außerhalb von Rhoades ihren Ursprung hat und ein Begehren, dessen Urgrund auch außerhalb seines eigenen Zugriffs liegt. Das Innenleben des Anderen bleibt undurchdringlich wie ein schwarzer Bildschirm. Ich frage mich, wie es dir geht, Umfang des Gezeigten überschattet alles subjektive Sehen können. möchte dich kennenlernen und bekomme nur meine eigenen Projektionen zurück, bei Rhoades nicht einmal die, denn der Umfang des Gezeigten überschattet alles subjektive Sehen können. Das spürbare Erleben des Anderen kommt in Rhoades Arbeit erst auf, wenn es übergriffig wird. Pornobilder, die auf der Ebene von Porno bleiben, aber in Menge und Materialität – auf Bambusrohre oder Pflöcke tapeziert oder 2000 mal ein anderes Wort für Pussy, gefertigt aus Neonröhren.
Er berührt auf der Ebene des eigenen Empfindens, wieder eine Projektion. Man ist abgestoßen vom eigenen Abgestoßensein.

In der sehr viel sinnlicheren Arbeit über Brancusi umgibt er eine Ansammlung von Gartenwerkzeugen aller Art mit Holzrahmen, in denen jeweils ein Foto von einem Aquarium hängt, das in der Ecke eines Wohnraums installiert und recht groß ist, es würde z.B. genau ein Hai hineinpassen. Dazu gesellt sich immer ein Foto aus Brancusis Atelier, dem Schlechthin-Fetischobjekt der Kunstbetrachter, die versuchen, mit ihrem Kulturgrabscherblick ein wenig Künstlerauthentizität zu erhaschen.
Es wirkt wie ein Witz, das Private mit dem Blick des Chirurgen, der eröffnete soziale Körper. Vergeblich. Es ist nicht witzig. Rhoades begegnet Brancusi auf einer Ebene, die gleichermaßen naiv daherkommt wie der Bürgerblick. Er nimmt die Position des Gartenwerkzeugbesitzers ein und stapelt Minidonuts nach Brancusiart an Eisenstangen auf und straft damit als Künstler selbst die Aussage Lügen, dass jeder Mensch ein Künstler sein kann und sollte. Zugleich entzieht er Brancusis Arbeit so viel Pathos, dass er wieder neu erfahrbar wird. Er lässt einen formalen Zugang zum Werk zu, indem er flache Assoziationen lostritt, aber diese sind immer wieder von einem Erinnerungscharakter durchwirkt. Die Erinnerung kommt erst beiläufig daher, man ist geneigt, sie nach kurzem Aufblitzen zu vergessen, aber das Haifischaquarium ohne Haifisch kommt immer wieder, in kaum unterscheidbaren Fotos, als ob der Fotograf ohne Namen über die Jahre immer wieder aus der fast gleichen Perspektive ein Bild geschossen hätte. Die Aquarienbilder und die Atelierfotos sind voll mit Fingerzeigen auf menschlichen Anteil, der totes Material belebt. Ein Erinnerungsgeist, der nur hier spürbar ist. Rhoades insistiert durch die serielle Anordnung darauf, sie soll sich gegen die formale Dominanz des Gartenbauequipments durchsetzen.

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