Institut für Betrachtung

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Thorsten Schneider

Kuglers Todesliste

Eine Rezension der Ausstellung "Claudia Kugler. Bill" in der Nürnberger Galerie Sima (27.11.–19.12.2018 und 5.1.–13.2.2019)

Die ausgestreckte Zunge auf der Einladungskarte zur aktuellen Ausstellung von Claudia Kugler in der Nürnberger Galerie Sima weckt augenscheinlich Assoziationen an die Rolling Stones oder Kiss. „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild. Das Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare“, wusste schon Oscar Wilde. Dies mag auch in Anbetracht der gezeigten Arbeiten Kuglers seine Berechtigung haben und trifft unversehens ins Schwarze, da es eine ihrer zentralen Qualitäten benennt. Schön, schimmernd, matt, glänzend, gedruckt, tapeziert oder perfekt gerahmt sind sie allesamt Spiegel- oder Projektionsflächen für (Selbst-)Reflexionen und Verschiebungen. Die Gefahr daraus resultierender Selbstverliebtheit ist der Künstlerin dennoch nicht anzukreiden – „unser Gehirn ist ein Schwamm, der sich mit Suggestionen vollsaugt, das ist alles“ (Francis Picabia). Die Ausstellung heißt „Bill“ – wie die Rechnung, wie der Gesetzentwurf. CineastInnen denken unmittelbar an Quentin Tarantinos Film „Kill Bill“ (dt.: Todesliste). Ob es der Künstlerin auch so geht, sei dahin gestellt. Kugler inszeniert die präzise Hängung der Ausstellung wie eine räumliche Sequenz von Film Stills mit Cuts und Shots. Ausschnitte einer Dialektik im Stillstand, wie Walter Benjamin wohl sagen würde. Es obliegt den RezipientInnen selbst ihren imaginären Projektionsapparat anzuwerfen.

Betritt man den Flur der Galerie Sima, eine kleine Wohnung im ersten Stock eines Altbaus in ruhiger Stadtlage mitten in Nürnberg, erblickt man eine raumgreifende Text-Tapete. Wie altes Fachwerk gibt der Tapeten-Text das Wort „New“ in seriell verschachtelter Wiederholung zu lesen. Die Balken der Buchstaben bevölkern Nagetiere – Schatten von Ratten oder Mäusen. Der legendäre Slogan „The Medium is the Massage“ von Marshall McLuhan wird verkehrt in sein morbides Gegenteil und lässt „das Neue“ ganz schön alt aussehen. Ein grundierender Farbverlauf von Rot zu Schwarz tut sein Übriges. Unheimlich schön. Welch wunderbare Dekonstruktion, an der wörtlich Zweifel nagt. Die Punchline sitzt. An der Wand gegenüber fällt der Blick in ein computergeneriertes Pokerface. Ein mit 3D-Software geformtes Anti-Porträt, das alles Individuelle, Authentische ebenso wie jede künstlerische Handschrift negiert. Mit Sonnenbrille, cool und abgeklärt. Hyperreal und nicht weniger unheimlich. Ein Killer. Die trockene Ironie des Wortspiels oder Vexierbilds kippt auf der anderen Seite des Flurs in die prekäre Präsenz einer perfekten, aber unpersönlichen Oberfläche. Fast so, als fände der Materialfetisch der Minimal Art hier eine figurative Entsprechung.

Im Hauptraum der Ausstellung hängt dann das Motiv der Einladung– die rote Zunge – als mittelgroßes Format im Pendant mit einem Kopf im Halbprofil. Ist dies eine zeitgenössische Entsprechung zu van Goghs Ohr? Wie Hitchcock ist auch Kugler eine Meisterin des Suspense; alles beruht auf dem Konzept der Vorhersehbarkeit, des Offensichtlichen und Oberflächlichen. Nur MeisterInnen oder NarrInnen spielen mit offenen Karten und gewinnen trotzdem. Zwischen den einzelnen Bildern baut sie einen ungeheuren Spannungsbogen auf, der sich in seiner Ambivalenz dennoch nicht auflösen lässt. Interpretierende Narrative sind in ihrer Nachträglichkeit zur Naivität verdammt und scheinen das, was man sieht nur um den Preis banaler Vereinfachung auf den Begriff zu bringen. Schon der Hang die Ausstellung als ein Hyperimage zu betrachten, erscheint eine Übertreibung, der man doch immer wieder anheim fällt. Es ist zu simpel, ein großes Wandtattoo im selben Raum als überdimensionale Kratzspuren einer Raubkatze zu dechiffrieren. Dennoch kommt man nicht umhin dies zu tun. Dem grundlos zu widersprechen erscheint nicht viel geistreicher. Daneben lässt sich eine rosarote Kaugummiblase auf schwarzem Grund und in perfekter Rahmung entdecken. Doch dies auf das Binärpaar „sanft“ versus „wild“ zu reduzieren, wäre viel zu stupide. Kugler spielt Konstruktion und Mimesis gekonnt und in aller Leichtigkeit gegeneinander aus. Als ginge es darum, ‚dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‘ jede „Suggestion von Sinn in mitten der Sinnlosigkeit“ (Adorno) auszutreiben. Der ästhetische Schein von Kuglers Bildern trügt nicht und macht keine falschen Versprechungen. So verrät auch das angeschnittene Anti-Porträt in einer weiteren Ecke des Raumes, dass es sich nicht sonderlich für die existenzielle Befragung eines individuellen Charakters oder Ausdrucks eignet. Vielmehr scheint es eine aufgeblasene oder ausgebeulte Prägeform, vielleicht auch ein Rendering, für die Produktentwicklung in Serie. Science Fiction-Phantasien von künstlicher Intelligenz werden intelligent als künstlich vorgeführt.

Michael Franz hat in seiner Auseinandersetzung mit Kuglers Arbeiten den neuralgischen Punkt treffend festgehalten: „Beschreibt man in kulturellen Zusammenhängen Bilder als eigenschaftslos, unspezifisch, unoriginell, ist das meistens negativ gemeint. Wenn aber computergenerierte Bilder originell sind, ist es noch schlimmer.“ Kuglers Arbeiten über-erfüllen und unterlaufen diese beiden widerstreitenden Erwartungshaltungen gleichermaßen. Doch handelt es sich dabei um einen ästhetischen Double Bind, der die BetrachterInnen zwar radikal enttäuscht, aber dennoch gefällt. Die Ausstellung als solche ist eine „Kill Bill“. Mit schwarzem Humor werden Klischees künstlerischer Bildproduktion und des dazugehörigen Ausstellungsdispositivs eliminiert. Da die RezipientInnen das Karnevaleske der künstlerischen Inszenierung ungeniert offengelegt bekommen, macht es einen Heidenspaß gerade nicht zu wissen, was sich hinter all den Maskeraden verbirgt. Konzeptuell wird jedwede ‚feine‘ Unterscheidung zwischen Kunstfeld oder populärer Bildkultur ignoriert. Gerade die Mittel der technischen Reproduktion ermöglichen eine tiefgreifende Irritation ritualisierter Einordnungen in reproduzierende Diskurse von ‚Kunst‘ als Wertesystem. Kuglers Arbeiten sind im besten Sinne populär, prekär, professionell und post-identitär – und spiegeln gerade darin den zeitgenössischen Status Quo künstlerischer Produktion besonders eindrücklich.

Claudia Kugler. Bill (Galerie Sima Nürnberg, 27.11. – 19.12.2018 und 5.1. – 13.2.2019)

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