Institut für Betrachtung

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Wolfgang Brauneis

Schaut auf eure Gespenster

Eine Rezension der von Eva-Maria Raschpichler organisierten Ausstellung "Herbert Achternbusch. Das Gespenst" im kunstbunker Nürnberg (13.10.-2.12.2018)

Eigentlich, so scheint es zumindest, schreibt sich eine Rezension zu solch einer Ausstellung zu solch einem Anlass wie von selbst: Herbert Achternbusch wird 80, es gibt eine nach den kulturbetrieblichen Routinen übliche Retrospektive in einer dafür vorgesehenen Institution, organisiert von einer dafür verantwortlichen Kuratorin. Dann noch zwei, drei Werke oder Werkgruppen herausgepickt, ein paar Sätze zum Schaffen von Achternbusch – das sich leicht mit Adjektiven wie unorthodox, eigenbrötlerisch oder widerborstig zum Drumherum abgrenzen ließe – dazu gepackt, und fertig ist das Ganze. Problematisch wäre bloß, dass man in diesem konkreten Fall gleich an mehreren Stellen vorbei gezielt hätte, was nun wiederum damit zusammenhängt, dass schon diese einleitende Kurzbeschreibung einige Ungenauigkeiten beinhaltet.

Es steht außer Frage, dass es sich bei dem Nürnberger kunstbunker – nicht nur ob der Selbstbeschreibung als „Forum für zeitgenössische Kunst“ – um einen Ort handelt, an dem eine Ausstellung von Herbert Achterbusch gezeigt werden kann. Denn mit zeitgenössischer Kunst im umfassenden Sinne haben wir es bei Achternbuschs Gemälden, Filmen, Büchern und Theaterstücken zweifelsohne zu tun, insbesondere dann, wenn das Konzept „Zeitgenossenschaft“ nicht nur auf künstlerische Produktionen aus der jüngeren Vergangenheit verweist, sondern auch auf eine gewisse, sagen wir, diskursive Aufgeregtheit. Höchst erstaunlich ist es allerdings, dass es sich bei dem kunstbunker um den einzigen Ort hierzulande, ja selbst innerhalb Bayerns, handelt, dessen Verantwortliche auf die Idee gekommen sind Werke des Jubilars eben im Rahmen einer Ausstellung zu präsentieren. Haben wir es doch mit einem Künstler zu tun, der in den vergangenen knapp fünf Jahrzehnten mit seinen unterschiedlichen Produktionen bei renommierten Verlagen, in wahrscheinlich sämtlichen einschlägigen Programmkinos der Republik, in Theatersälen und Museen präsent war, und der zudem, Stichwort Zeitgenossenschaft, mehrere Generationen (sub)kulturell Interessierter – von den 68er bis mindestens hin zur Kriegsenkelgeneration – nachhaltig geprägt hat. Und das nicht nur in Bayern.

Dass nichtsdestotrotz sämtliche der potenziell dafür geeigneten und sicherlich in mancherlei Hinsicht besser ausgestatteten Institutionen das Thema Herbert Achterbusch offensichtlich als nicht wirklich präsentationswürdig erachten, war eine der Erkenntnisse, die Eva-Maria Raschpichler während ihrer umfangreichen Vorbereitungen zu der Nürnberger Schau gewann. Und da sie in diesem Zeitraum wiederholt den Eindruck hatte, als würden Achternbusch und sein in der Tat unvergleichliches Werk mittlerweile sogar in Vergessenheit zu geraten drohen, entschied sie sich, in Anlehnung an seinen wohl berühmtesten, zumindest skandalumwittertsten Film, für den Ausstellungsuntertitel „Das Gespenst“. Und wie es sich für ein gscheites Gespenst gehört, gibt es für dessen Oeuvre selbstredend auch keine amtliche Stelle, an der alle Fäden zusammenlaufen, also kein Archiv, keine Foundation, keine Galerie oder eine anderweitige Einrichtung, an die man sich anlässlich eines solchen Vorhabens wenden und in Ruhe stöbern könnte.

Raschpichler ließ sich von diesem Umstand glücklicherweise ebenso wenig abhalten wie von der damit unmittelbar zusammenhängenden Erkenntnis, dass ihr ursprünglicher Plan, einen retrospektiven Überblick über Herbert Achternbuschs filmisches Schaffen zu zeigen, alleine schon deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil selbiges größtenteils noch nicht digitalisiert ist, ja nicht einmal die kompletten Originalbänder auffindbar geschweige denn ausleihbar waren. Ergo arrangierte sie sich schon früh mit dem Umstand, dass im kunstbunker unterm Strich das gezeigt werden wird, was sie, wie es in der Ankündigung  zur Ausstellung so lapidar wie treffend heißt, „kriegen konnte oder nicht“. Als Resultat ist nun wiederum eine Retrospektive zu sehen, die in erster Linie aus Malerei besteht, und die eben auch darum als Beleg für ihre recht uneitle Herangehensweise dient, dafür also, dass sie – auch und gerade weil sie sich per se nicht als Kuratorin versteht – im wahrsten, ja ursprünglichen Sinne des Wortes kuratiert, sich also um Achternbuschs Arbeiten zu den Bedingungen anno 2018 gekümmert hat. Und dass daraus trotz dieser holprigen Bedingungen tatsächlich ein amtlicher Überblick über Achternbuschs malerisches Werk geworden ist, der, wie es so schön heißt, sämtliche Schaffensphasen beinhaltet – von einem frühen Selbstporträt aus den späten 1950er Jahren, das noch vor dem Beginn seines Studiums an der Nürnberger Kunstakademie entstanden ist, über die Bilder und Stoffdrucke, die Ende der 1980er Jahre im Münchner Kaufhaus Ludwig Beck zu sehen bzw. zu kaufen waren bis hin zur jüngsten, noch ungerahmten Arbeit, die ihr kurz vor Ausstellungsbeginn noch von Herbert Achternbusch Sohn in die Hand gedrückt wurde – ist Eva Raschpichlers Ausdauer zu verdanken. Ihren Fahrten zwischen Nürnberg und München, den Erkundungen des oberbayerischen Umlandes zwischen Ambach und Andechs, der Gegend also, die Achterbusch – in Anlehnung an eine seiner berühmt gewordenen Sentenzen, „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt“, – ebenso geprägt hat wie er sie; der Kontaktaufnahme mit Familienmitgliedern und Weggefährten, dem Versuch das „alte“, sagen wir bundesrepublikanische München, inmitten dessen von Filmmuseum, Viktualienmarkt, Ludwig Beck und Hofbräuhaus markiertem Epizentrum Herbert Achterbusch noch immer wohnt, unter dem gegenwärtigen München freizulegen, ihrer Lust sich durchzufragen und Spuren zu suchen und sich letztlich bereitwillig auf einen Pakt mit dem Zufall einzulassen – auch auf die Gefahr hin am Ende mit leeren Händen dazustehen.

Dass es letztlich nicht zum worst case kam, lag auch daran, dass sich diese Suche zu einer Art Dominoeffekt entwickeln sollte und sie buchstäblich auf den letzten Drücker noch Leihgaben zur Verfügung gestellt bekommen hat. Einer der Türöffner war sicherlich der Entschluss des kunstbunker-Teams einen nicht unbeträchtlichen Anteil des Gesamtbudgets in die Hand zu nehmen um zwei der selbst unter Achterbusch-Fans eher unbekannten Filme, „Die Föhnforscher“ (1985) und „Punch Drunk“ (1987), auf eigene Faust zu digitalisieren – ohne kommerzielle Absichten, sondern einfach, weil’s halt sein muss. Und nicht nur an dieser Stelle wird das ganze Vorhaben, das besagte Gespenst aufzuspüren und in der Öffentlichkeit zu präsentieren, auch aus einer zweiten Perspektive interessant, dann nämlich, wenn die künstlerischen Praktiken von Herbert Achternbusch und Eva-Maria Raschpichler kurzgeschlossen werden. Einerseits dient ihre kuratorische Tätigkeit nicht als Beleg einer Doppelbegabung als cultural worker, wird sie in den Begleittexten doch stets als Künstlerin bezeichnet. Andererseits ist die Ausstellung aber auch nicht unter „Artistic Research“ abzuheften, dafür steht die Retrospektive als solche zu sehr im Vordergrund und ist Raschpichlers eigene künstlerische Praxis nur punktuell, beispielsweise anhand des von ihr angefertigten Achterbusch-Porträts, das das Plakat und die Einladungskarte ziert, sichtbar – zumindest im offensichtlichen Sinne. Aller Wahrscheinlichkeit nach wären die Arbeiten als solche ohne die Annäherung aus dieser auf den ersten Blick schwer zu kategorisierenden Perspektive nicht sicht-, vermittel- und diskutierbar, scheint doch – siehe oben – das Interesse seitens dessen, was man gerne „den Betrieb“ nennt, an revisionistischen Blicken auf den kunst- und kulturgeschichtlichen Kanon dann an gewisse Grenzen zu stoßen, wenn sich die Länge des Wegs deshalb schwer einschätzen lässt, weil er nicht von einschlägigen Instanzen gesäumt wird. Wenn es um Effizienz und Verwertbarkeit geht, bedeutet ein offenes Ende eine schlechte Aussicht. Vor diesem Hintergrund ist es also fast schon naheliegend, dass diese Ausstellung nicht auf eine handelsüblich kalkulierte, sondern, im besten Achterbuschschen Sinne, unberechenbare Weise zusammengetragen wurde, und dass der gesamte Prozess, der zu diesem Resultat führte, einen integralen Bestandteil von Raschpichlers künstlerischer Praxis ausmacht. Diese wiederum ist insofern eine höchst gegenwärtige Angelegenheit, als sie einen Freiraum beansprucht, der vielleicht unter primär ökonomischen Aspekten nicht mehr als solcher bezeichnet werden kann, der aber – bei entsprechender Dehnung der Idee von künstlerischer Praxis, eines im Zusammenhang mit ihrer Arbeit schon früher formulierten „Dazwischen“ – dabei helfen kann noch einige Gespenster jenseits des kunsthistorischer Kanons sowie der letztlich kanonisierten, da institutionell abgefederten Revision ausfindig zu machen und die Konventionen sowohl des kunstwissenschaftlichen als auch des künstlerischen Tuns geflissentlich zu ignorieren.

Herbert Achternbusch. Das Gespenst (kunstbunker Nürnberg, 13.10. - 2.12.2018)

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