Institut für Betrachtung

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Hans-Jürgen Hafner

Zuerst die Musik, dann die Freunde (zu Stefan Heidenreich, Schafft die Kuratoren ab! Die Zeit, 21.06.2017)

Es ist ein merkwürdiges Fazit, das der Kunst- und Medienwissenschaftler Stefan Heidenreich in seinem Plädoyer „Schafft die Kuratoren ab!“ fürs Feuilleton der ZEIT zieht. Demnach wäre jeder (folgt man texttreu, männliche) Mensch nicht Künstler sondern Kurator. Zumindest ist dies die Lektion, die Heidenreich aus seiner medienwissenschaftlich kompetenten Beobachtung sozialer Medien gewonnen hat. Dort würde mittlerweile jeder seine eigenen Playlists, Freundeskreise und Bildersammlungen zusammenstellen und veröffentlichen - oder, in anderen Worten, kuratieren. Deshalb die radikaldemokratische Forderung, dass Museen, Kunstvereine und Kuratoren das Kuratieren überwinden sollen und stattdessen jedermann dazu zu ermächtigen - der es ja ohnehin schon tut.

Nun ja. 2017 ist Superkunstjahr. Da kommt angesichts von Documenta und Skulptur Projekte Münster, Biennale von Venedig und Made In Germany Hannover allein schon in Kerneuropa viel und vielleicht nicht unbedingt zwingend oder gar gut Kuratiertes zusammen. Abgesehen davon hat der Kurator länger schon die Rolle des Kritikers übernommen, wenn es, wie das Klischee will, um problematische Beziehungen speziell zu Künstlern geht. Kritik gab es zumal an der Documenta und ihrem Kurator in Fülle, nicht selten berechtigt, seltener mit guten Argumenten. Woher kommt aber Heidenreichs Brass auf den, entkoppelt vom Museumsbetrieb, vergleichsweise jungen Berufsstand des Kurators? Er weiß offenbar: „Kuratoren sind nicht rechenschaftspflichtig, schon gar nicht sind sie dem Publikum verpflichtet.“ Und er weiß auch: "Da allerdings die Geldmittel fürs Ausstellen knapper werden, hilft es, wenn Galerien und Sammler ihnen zur Seite springen. Das führt dazu, dass viele Ausstellungen zu Werbeveranstaltungen des Kunstmarktes herunterkommen.“

Tatsächlich hat man noch nicht gehört, dass Kuratoren für ihre Leistungen vom Publikum ausgebuht, von ihren Auftraggebern öffentlich die Epauletten von der Uniform gerissen worden wären. Sehr wohl hört, öfter sieht man, dass mitunter hinter den Türen, aber gerade auch auf der kulturpoltischen Bühne durchaus Kritik laut wird, wenn eine kuratierte Veranstaltung hinter den erwarteten Besucherzahlen zurückzubleiben droht. In der Tat hört man auch immer öfter, dass - leider gerade auch interessantere - Galerien schließen, und Museen ihr Programm reduzieren oder Öffnungszeiten verkürzen um angesichts knapper werdender Mittel ihren Betrieb halbwegs aufrecht erhalten zu können. Hilfe von Sammlerinnen und Sammlern wäre wahrscheinlich in Museen und Galerien recht. Im einen Falle hießen diese dann Unterstützer oder Gast, im anderen Kunde. Mit 37,5 Millionen Euro Budget ist die diesjährige Documenta mit bekanntermaßen zwei Spielorten, Athen und Kassel, ausgestattet, die Hälfte davon von deutschen Steuerzahler_innen erbracht. Knapp acht Millionen Euro standen den Skulptur Projekten Münster zur Verfügung, die gleichwohl mit stattlichen 650.000 Besucher_innen rechnen. Noch nie gab es insgesamt mehr Geld, mehr Quadratmeter, mehr Akteure für die Kunst. Noch nie war Kultur globaler und als global-simultane so umfassend kapitalistisch strukturiert wie heute. Das schützt vor Chauvinismus nicht: „Deutschland räumt ab!“ hieß es, im Habitus ähnlich plakativ wie bei Heidenreichs Text, angesichts zweimaliger Goldener Löwen für deutsche Künstler anlässlich der Venedig Biennale.

Aber es waren ja die Kuratoren, die zuallererst weg müssen, nicht das Kapital. Weil, auf den sozialen Netzwerken, die nebenbei in der Hand von wenigen global operierenden Konzernen liegen, kuratiert eh jeder und das ganz umsonst - in eigener Sache und dennoch öffentlich. Wäre Stefan Heidenreich Kurator und nicht Kunst- und Medienwissenschaftler, man möchte ihm seine Forderung abnehmen, vielleicht auch die löcherige, ressentimentgeladene Argumentation, auf der sie fußt, nachsehen. Wenn jeder kuratiert, ist klar, warum im Großen und Ganzen weder Staat noch Geld mehr damit zu machen sind. Wenn’s auf den sozialen Netzwerken so gut funktioniert, wozu dann überhaupt Museen, Kunstvereine unterhalten - im Netz sind wir alle gleich: Stefan Heidenreich, das Museum for Modern Art, Julia Stoschek, Ärzte ohne Grenzen, Donald Trump. Bloß, wenn am Ende jeder Kurator ist, wer ist dann noch Künstler - und wen sollte das überhaupt interessieren?

http://www.zeit.de/2017/26/ausstellungen-kuratoren-kuenstler-macht/komplettansicht

Ausstellung, Stefan Heidenreich

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